Sozial- und umweltverträgliche Beschaffung

Umsetzungsschritte

(angelehnt an die Broschüre Faire Beschaffung in Kommunen“ der LUBW

Gemeinderatsbeschluss

Die Kommune kann ihr Beschaffungsverhalten durch einen formalen Beschluss binden und sich auf die Beschaffung von Produkten ohne Kinderarbeit selbst verpflichten. Der Beschlussantrag kann beispielsweise durch eine oder mehrere Ratsfraktionen oder von Seiten der Verwaltung eingebracht werden. Ein solcher Beschluss ist zum Beispiel: „Bei folgenden Produkten aus Asien, Afrika oder Lateinamerika, die die Stadt XYZ möglicherweise bezieht, kommt ausbeuterische Kinderarbeit vor: Teppiche, Kaffee, Tee, Schokolade, Natursteine, …“ Es spricht nichts dagegen, nur solche Produktgruppen zu nennen, bei denen man auch mit der Abgabe zuverlässiger Nachweise rechnen kann. „Im Beschaffungswesen und bei Ausschreibungen finden für diese Produktgruppen künftig nur solche Produkte Berücksichtigung, die ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der ILO-Konvention 182 hergestellt wurden.“

Dem Beschluss folgt i.d.R. eine Änderung bestehender Vorschriften oder eine Dienstanweisung. Des Weiteren ist es wichtig, die Mitarbeiter/innen und die Bevölkerung zu informieren. Bei den Mitarbeiter/innen kann dies beispielsweise durch Schulungen oder einen Runden Tisch geschehen. Schließlich sollten die Lieferanten rechtzeitig informiert werden.

Ausschreibungstext

Hinweise: Im Ausschreibungstext muss auf die einzuhaltenden Kriterien (z.B. die Einhaltung der ILO Kernarbeitsnorm 182 zur Vermeidung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit) explizit eingegangen werden. Beispielhaft können für bestimmte Produktgruppen als Nachweis zur Einhaltung der genannten Kriterien auch Label oder Zertifikate angegeben werden, soweit dies durch den Zusatz „oder gleichwertig“ ergänzt wird. Es muss des Weiteren angegeben werden, dass der Zuschlag auf der Grundlage des wirtschaftlich günstigsten Angebots erteilt wird. Die Stadt München lässt für bestimmte Produktgruppen, wie Natursteine, vom Bieter mit dem Angebot eine Erklärung abgeben, die dann auch Bestandteil des Vertrags ist. Das heißt, dass die Einhaltung der Kernarbeitsnorm 182 nicht ein Zuschlagskriterium ist (hierfür gäbe es keine rechtliche Grundlage), sondern Teil der Auftragsausführung. Entsprechend kann für Ausschreibungen oberhalb der EU-Schwellenwerte auch eine Lieferung aus Lagerbeständen ausgeschlossen werden (Rechtswissenschaftliches Gutachten, S. 69). Im Folgenden wird der Text der Bietererklärung der Stadt München für die Produktgruppe Natursteine beispielhaft aufgeführt.

Faire Beschaffung: Stadt München Vorreiter in Deutschland

Am 14. Dezember 2011 hat der Stadtrat der Stadt München beschlossen, die Vergabeordnung so zu ändern, dass für bestimmte Produktgruppen keine Produkte aus Kinderarbeit mehr zugelassen werden sollen. In diesem Fall muss der Händler durch einen unabhängigen Nachweis belegen, dass die Natursteine ohne Kinderarbeit produziert wurden. Damit verschärft München den Beschluss vom 18. April 2003, wo es noch hieß, dass bei kritischen Produkten eine „Zertifizierung einer unabhängigen Organisation oder eine entsprechende Selbstverpflichtung“ nachzuweisen ist. Die Möglichkeit der Selbsterklärung wird mit dem Beschluss vom 14. Dezember 2011 dezidiert ausgeschlossen. Die Stadt München nimmt damit im Bereich der fairen Beschaffung deutschlandweit ein weiteres Mal eine Vorreiterrolle ein. Vom Händler muss mit der Abgabe des Angebots nun folgende Erklärung abgegeben werden:

Erklärung zur Vermeidung des Erwerbs von Natursteinen aus ausbeuterischer Kinderarbeit

1. Natursteine sind in besonderem Maße von ausbeuterischer Kinderarbeit betroffen. Eine der beiden folgenden Erklärungen ist zwingend abzugeben. Bitte kreuzen Sie die für Ihr Angebot zutreffende Erklärung an:

    Ja, ich erkläre, dass für die Leistung bzw. Lieferung Natursteine vorgesehen sind, die in Afrika, Asien oder Lateinamerika hergestellt bzw. bearbeitet werden oder wurden. In diesem Fall sind die Ziffern 2. bis 4. zu beachten und vollständig auszufüllen.

oder

    Nein, ich verpflichte mich, für die Leistung bzw. Lieferung keine Natursteine zu verwenden, die in Afrika, Asien oder Lateinamerika hergestellt bzw. bearbeitet werden oder wurden. In diesem Fall ist die Ziffer 4. zu beachten.

2. Ich verpflichte mich, sicherzustellen, dass die Herstellung bzw. Bearbeitung der Natursteine ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinne der Kernarbeitsnorm Nr. 182 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zur Abschaffung der Kinderarbeit erfolgt bzw. erfolgt ist sowie ohne Verstöße gegen Verpflichtungen, die sich aus der Umsetzung dieses Übereinkommens oder aus anderen nationalen oder internationalen Vorschriften zur Bekämpfung von ausbeuterischer Kinderarbeit ergeben.

3. Als Nachweis dafür, dass die angebotenen Natursteine ohne ausbeuterische Kinderarbeit im Sinn des IAO-Übereinkommens Nr. 182 gefertigt wurden, werde ich dem Auftraggeber im Falle der Beauftragung rechtzeitig vor Ausführung ein geeignetes Zertifikat von einem unabhängigen Dritten (Xertifix, Win=Win Fair stone oder gleichwertig) produktbezogen vorlegen. Von folgendem unabhängigen Dritten werde ich ein Zertifikat vorlegen: ___________________________

4. Die vorstehend genannten Erklärungen werden im Auftragsfall Vertragsbestandteil.
Verstößt der Auftragnehmer gegen eine der in Ziffer 1. bis 3. genannten Verpflichtungen, handelt es sich um einen schwerwiegenden Pflichtenverstoß, der den Auftraggeber zum Rücktritt vom Vertrag oder zur fristlosen Kündigung berechtigt. Außerdem ist der Auftraggeber in diesem Fall berechtigt, vom Auftragnehmer eine Vertragsstrafe in Höhe von … % des Endbetrages der Auftragssumme (ohne Umsatzsteuer) zu verlangen, es sei denn, der Auftragnehmer hat den Verstoß nicht zu vertreten. Betrifft der Verstoß nur einen Teil der Leistung, so fällt die Vertragsstrafe auch nur anteilig an. Weitere Ansprüche bleiben unberührt.

Ich bin mir bewusst, dass eine falsche Abgabe der vorstehenden Erklärungen den Ausschluss von diesem Vergabeverfahren zur Folge hat.



Im Folgenden finden Sie Gesetze, Richtlinien, Hintergrundtexte und wichtige Webseiten zur sozial- und umweltverträglichen Beschaffung

  1. Kommentare und Ausschnitte wichtiger europäischer Gesetzestexte und Leitfäden
  2. Streitfall Eigenerklärung:
    Können wir Zuverlässige Nachweise fordern oder müssen wir auch Eigenerklärungen akzeptieren?
  3. Rechtliche Grundlagen
  4. Hilfreiche Webseiten und Texte


Kommentare und Ausschnitte wichtiger europäischer Gesetzestexte und Leitfäden:

  • Ein Leitfaden der Europäischen Kommission für die Berücksichtigung sozialer Belange im öffentlichen Beschaffungswesen. Dieser Leitfaden bietet die beste Orientierung für die soziale und umweltgerechte Beschaffung.
  • Urteil des EuGH vom 10.05.2012 zur Berücksichtigung sozialer und Umweltbelange bei der Auftragsvergabe.
  • Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge.

Die europäische Richtlinie gilt für Aufträge oberhalb der Schwellenwerte. Unterhalb der Schwellenwerte gelten das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen und die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB).

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Streitfall Eigenerklärung

Bei der Umsetzung zur fairen Beschaffung (bzw. der Beschaffung von Produkten ohne Kinderarbeit) stellt sich häufig diese Frage: Können zuverlässige Nachweise gefordert werden oder müssen auch Eigenerklärungen der Händler – oder noch harmloser – Erklärungen akzeptiert werden, dass das Unternehmen/die Lieferanten „aktive und zielführende Maßnahmen zum Ausstieg aus der ausbeuterischen Kinderarbeit eingeleitet haben“? Letzteres würde konkret bedeuten, dass es sein kann, dass die für den Auftrag vorgesehenen Produkte wie Natursteine zwar noch mit Kinderarbeit hergestellt sind, man aber darauf hinwirken will, dass dies in Zukunft nicht mehr geschieht.

Eine solche Formulierung bzw. weiche Ausschreibung folgt aus unserer Sicht nicht aus den rechtlichen Grundlage auf EU-Ebene, wie unseren Kommentaren zur EU Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und dem dazu gehörigen Leitfaden zu entnehmen ist. Dort wird empfohlen, “Referenz auf bestimmte Zertifizierungssysteme” zu nehmen oder “andere zuverlässige Mittel” des Nachweises zu fordern, „z.B. Zertifikate, die von einer Behörde oder von Dritten ausgestellt wurden, Prüfungsberichte von Dritten, Kopien der Arbeitsverträge, Kopien aller relevanten Dokumente, Nachweise von Kontrollbesuchen usw.” Wenn diese vorgelegten Nachweise den öffentlichen Auftraggeber nicht überzeugen, kann dieser “zusätzliche Nachweise verlangen.” (S. 47f.)

In einem rechtswissenschaftlichen Gutachten hat Prof. Dr. Jan Ziekow angenommen, dass eine solche Vorgabe unverhältnismäßig sei und ein zu starker Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der bietenden Unternehmen. Gleichzeitig nennt er selbst Argumente, die diese Interpretation entkräften:

  • Es steht jedem Unternehmen frei, im Ausschreibungsverfahren ein Angebot abzugeben
  • Wenn das Unternehmen ein Angebot abgibt, dann betrifft die Vorgabe, einen Nachweis vorzulegen, nicht die gesamte Geschäftstätigkeit des Unternehmens, sondern nur die Teilbereiche, die sich auf die Erlangung des öffentlichen Auftrags beziehen.
  • Zum Dritten weist Prof. Ziekow auf die besondere Bedeutung der geforderten Normen hin: „Auf der anderen Seite ist auf das besondere Gewicht der von den IAO-Kernarbeitsnormen erfassten Positionen hinzuweisen, die sämtlich grund- und menschenrechtlichen Schutz genießen.“ (S. 30)

Nach unserer Auffassung berechtigt daher der Verweis auf die Berufsausübungsfreiheit keinesfalls, daraus eine Pflicht abzuleiten, dass auch Eigenerklärungen akzeptiert werden müssen, und damit die Verpflichtung des Nachweises, dass die Kernarbeitsnormen auch eingehalten werden, derart aufzuweichen, dass die Produkte faktisch – ohne Vertragsverletzung – z.B. mit Kinderarbeit hergestellt sein können. Dem widerspricht zudem auch die Europäische Kommission, indem sie im Leitfaden auf die Bedeutung zuverlässiger Nachweise abhebt. Diese Auslegung trifft auch für die geplante modernisierte Fassung der EU Richtlinie zu, da entsprechend der bisherigen Rechtslage mit Artikel 70 dem Beschaffer die Möglichkeit eröffnet wird, Bedingungen für die Auftragsausführung anzugeben, die „insbesondere Sozial- und Umweltbelange betreffen.“

Aus unserer Sicht steht daher der Forderung nach einem Nachweis der einzuhaltenden Normen (z.B. Verbot von Kinderarbeit), wie es die Stadt München seit November 2011 praktiziert, nichts entgegen.

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Rechtliche Grundlagen

Europäisches Recht

Urteil des EuGH vom 10.05.2012 zur Berücksichtigung sozialer und Umweltbelange bei der Auftragsvergabe. Entscheidende Passagen und einen Kurzkommentar finden Sie hier.

Vorschlag zur Modernisierung des Vergaberechts zur Ablösung der Richtlinie 2004/18 vom 20.12.2011. Entscheidende Passagen finden Sie hier. Sollte der Vorschlag wie vorgesehen Ende 2012 angenommen werden, so muss die Direktive bis 30. Juni 2014 von den Mitgliedsstaaten umgesetzt werden. Bis dahin gilt Richtlinie 2004/18/EG (siehe unten).

Ein Leitfaden der Europäischen Kommission für die Berücksichtigung sozialer Belange im öffentlichen Beschaffungswesen: Sozialorientierte Beschaffung (2011) Einen Kommentar und wichtige Passagen des Leitfadens finden Sie hier.

Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge. Wichtige Passagen der Richtlinie und einen Kurzkommentar finden Sie hier.

Nationales Recht

Am 19.12.2008 wurde durch den Bundestag und am 13.02.2009 durch den Bundesrat das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen geändert, wonach endlich eine sichere Rechtsgrundlage für die faire Beschaffung besteht. Damit ist es möglich, bei der Beschaffung zusätzlich soziale Anforderungen (wie Freiheit von Kinderarbeit) zu berücksichtigen:

Aufträge werden an fachkundige, leistungsfähige sowie gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben. Für die Auftragsausführung können zusätzliche Anforderungen an Auftragnehmer gestellt werden, die insbesondere soziale, umweltbezogene oder innovative Aspekte betreffen, wenn sie im sachlichen Zusammenhang mit dem Auftragsgegenstand stehen und sich aus der Leistungsbeschreibung ergeben. Andere oder weitergehende Anforderungen dürfen an Auftragnehmer nur gestellt werden, wenn dies durch Bundes- oder Landesgesetz vorgesehen ist. (§97 Abs. 4)

Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB)

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Hilfreiche Webseiten und Texte

Kampagne Aktiv gegen Kinderarbeit

Mittlerweile haben zahlreiche Kommunen in Deutschland ihre Vergabeordnung geändert. Eine umfassende Übersicht finden Sie auf der Webseite der Kampagne Aktiv-Gegen-Kinderarbeit. Dort sind zudem viele weitere Beispiele für die Formulierung der fairen Beschaffung aufgeführt (siehe Liste der Kommunen und dann unter der jeweiligen Kommune, z.B. Freiburg i.Br. und dann auf Link).

 

Leitfäden für Kommunen

Ein Leitfaden des Südwind Insituts für Ökonomie und Ökumene erläutert, was Kommunen gegen Kinderarbeit in Steinbrüchen tun können. In einem ersten Schritt wird aufgezeigt, unter welchen Bedingungen in Indien Steine hergestellt werden. Im zweiten Teil wird dargelegt, welche Erfahrungen Kommunen sowie Nichtregierungsorganisationen bei der Umsetzung von Beschlüssen gemacht haben, die Rechenschaft über die Produktionsbedingungen angelieferter Produkte verlangen: Wie kann ein Gemeinde- oder Stadtratsbeschluss angestoßen werden? Was ist zu beachten? Wo bestehen Probleme?

Weitere Materialien sind auf der Webseite des Dachverbands für Entwicklungspolitik in Baden-Württemberg (DEAB) zu finden:

„Impulse Setzen. Sozialstandards in der öffentlichen Beschaffung Baden–Württembergs“ des DEAB

Faire Beschaffung in Kommunen“ der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW)

Leitfaden Berücksichtigung sozialer Belange im Vergaberecht des Deutschen Städtetags

Auf der Webseite zur fairen Beschaffung der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit sind weitere Materialien zusammengestellt:

Fair Handeln in Kommunen – Ein Praxisleitfaden

Faires Beschaffungswesen in Kommunen und die Kernarbeitsnormen – Rechtswissenschaftliches Gutachten

RESPIRO (Responsibility in Procurement) Leitfaden für sozial-verantwortliche Beschaffung im Baugewerbe

Formulierungsvorschläge der Servicestelle zu Beschlusstexten für Kommunen zur Vermeidung der ausbeuterischen Kinderarbeit

 

Kompass Nachhaltigkeit

Eine Datenbank der Bundesregierung (Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gemeinsam mit der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit) geben eine Online-Datenbank mit Informationen zu Sozial- und Umweltsiegeln bzw. zur nachhaltigen Beschaffung heraus. Mittels der Standardsuche lässt sich ermitteln, welches Siegel es zu welchem Produktbereich gibt.

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