In dem Urteil geht es um eine Ausschreibung des Königreiches Holland zur Beschaffung von Kaffee und Tee für Automaten. Hierbei sollten Umweltkriterien und faire Kriterien insbesondere berücksichtigt werden. Kläger ist die Europäische Kommission.

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Aus dem Urteil:

b) Würdigung durch den Gerichtshof

73 Wie in Randnr. 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt, bezeichnet das Gütezeichen MAX HAVELAAR Erzeugnisse, die aus einer Form des fairen Handels stammen, von aus Kleinerzeugern in Entwicklungsländern bestehenden Organisationen zu einem Preis und zu Bedingungen erworben wurden, die günstiger als die durch die Marktkräfte bestimmten Bedingungen sind. Aus den Akten ergibt sich, dass das Gütezeichen auf vier Kriterien beruht, nämlich darauf, dass der gezahlte Preis kostendeckend sein und einen Zuschlag auf den Weltmarktpreis enthalten muss, dass die Produktion vorfinanziert sein muss und dass zwischen Erzeuger und Importeur langfristige Handelsbeziehungen bestehen müssen.

74 Es ist festzustellen, dass diese Kriterien nicht der Definition des Begriffs „technische Spezifikation“ in Nr. 1 Buchst. b des Anhangs VI der Richtlinie 2004/18 entsprechen, denn diese Definition stellt ausschließlich auf die Merkmale der Erzeugnisse selbst, ihre Produktionsprozesse und methoden, ihre Verpackung oder ihre Verwendung und nicht auf die Bedingungen ab, unter denen der Lieferant sie vom Erzeuger erworben hat.

75 Dagegen fällt die Einhaltung dieser Kriterien unter den Begriff „Bedingungen für die Auftragsausführung“ im Sinne von Art. 26 der Richtlinie.

76 Nach diesem Artikel können die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags nämlich insbesondere soziale Aspekte betreffen. Vorzuschreiben, dass der zu liefernde Tee und Kaffee von Kleinerzeugern aus Entwicklungsländern stammt, zu denen für sie günstige Handelsbeziehungen bestehen, ist ein solcher sozialer Aspekt. Somit ist die Rechtmäßigkeit dieser Bedingung anhand von Art. 26 zu prüfen.

79 Der zweite Teil des zweiten Klagegrundes ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

91 Wie sich schließlich aus Nr. 110 der Schlussanträge der Generalanwältin ergibt, ist es nicht erforderlich, dass sich ein Zuschlagskriterium auf eine echte innere Eigenschaft eines Erzeugnisses, also ein Element, das materiell Bestandteil von ihm ist, bezieht. So hat der Gerichtshof in Randnr. 34 des Urteils EVN und Wienstrom entschieden, dass es die für die Vergabe öffentlicher Aufträge geltenden Vorschriften des Unionsrechts einem öffentlichen Auftraggeber nicht verwehren, im Rahmen der Vergabe eines Auftrags über die Lieferung von Strom ein Kriterium festzulegen, das die Lieferung von Strom aus erneuerbaren Energieträgern verlangt. Grundsätzlich steht somit einem Zuschlagskriterium, das darauf abstellt, dass ein Erzeugnis fair gehandelt worden ist, nichts entgegen.

92 Es ist daher festzustellen, dass das streitige Zuschlagskriterium den in Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 verlangten Zusammenhang mit dem fraglichen Auftragsgegenstand aufweist, so dass die Rüge der Kommission insoweit nicht begründet ist.

97 Nach alledem hat die Provinz Nord-Holland ein mit Art. 53 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 unvereinbares Zuschlagskriterium aufgestellt, indem sie im Lastenheft vorgesehen hat, dass, wenn bestimmte zu liefernde Erzeugnisse mit bestimmten Gütezeichen versehen seien, dies zur Vergabe einer bestimmten Punktzahl im Rahmen der Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots führe, ohne die Kriterien aufgeführt zu haben, die diesen Gütezeichen zugrunde liegen, und ohne zugelassen zu haben, dass der Nachweis, dass ein Erzeugnis diesen Kriterien genügt, durch jedes geeignete Beweismittel erbracht werden kann.

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Kommentar:

Auch dieses Urteil bestätigt die Linie der EU, in der öffentlichen Auftragsvergabe soziale und Umweltkriterien berücksichtigen zu können. Bahnbrechend ist das Urteil deshalb, da indirekt zum Ausdruck kommt, dass in einer Ausschreibung sehr wohl bestimmte Siegel (oder andere gleichwertige Siegel) gefordert werden können, solange die Kriterien angegeben werden, auf die es einem bei dem Siegel ankommt – also beispielsweise den Ausschluss von Kinderarbeit – und solange “der Nachweis, dass ein Erzeugnis diesen Kriterien genügt, durch jedes geeignete Beweismittel erbracht werden kann.” Mit dieser Formulierung können also sehr wohl “geeignete” Nachweise gefordert werden, also z.B. durch unabhängige Kontrollen, und Eigenerklärungen ausgeschlossen werden.

Zudem wird an einer anderen Stelle darauf verwiesen, dass faire Bedingungen für die Beschaffung eines Produktes nicht zu den technischen Spezifikationen zählen, sondern zu den “Bedingungen für die Auftragsausführung”. Und hier lässt der Gesetzestext der Öffentlichen Beschaffung reichlich Spielraum in der Umsetzung. Entscheidend ist, dass die Grundsätze der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Gleichbehandlung eingehalten werden.

Richtlinie 2004/18/EG, Artikel 26: “Die öffentlichen Auftraggeber können zusätzliche Bedingungen für die Ausführung des Auftrags vorschreiben, sofern diese mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind und in der Bekanntmachung oder in den Verdingungsunterlagen angegeben werden. Die Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags können insbesondere soziale und umweltbezogene Aspekte betreffen.”

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