13.01.2008, Kota – Budhpura – Kota (Sonntag)

1. Gespräch mit Mr. Mohan und seinen Töchtern in BudhpuraMr. Mohan
Herr Mohan ist 35 Jahre [1] und hat die letzten 30 Jahre im Steinbruch gearbeitet. Jetzt hat er TB (Silikose) und liegt danieder. Seine Frau muss nun im Steinbruch arbeiten und die 3 zu Hause verbliebenen Töchter durchbringen. 2 weitere Töchter sind bereits verheiratet. Seine Frau, die auch am heutigen Sonntag arbeitet und die wir daher nicht antreffen, verdient am Tag 50 Rupien (90 Cent). Pro Monat hat sie einen freien Tag. Insgesamt arbeitet sie an 335 Tagen im Jahr. Damit ist wohl klar, dass diese Familie weit unterhalb der Armutsgrenze lebt. Dies wird allerdings von den lokalen Behörden nicht anerkannt und Herrn Mohan wird der BPL-Ausweis (Below Poverty Line) verweigert. Nur mit diesem aber hätte er Anrecht auf kostenfreie Medikamente und weitere staatliche Mr. Mohans TöchterVergünstigungen. So aber sicht er ohne ärztliche Hilfe dahin. Um wenigstens ab und an sich einige Medikamente und einen Arztbesuch leisten zu können, muss auch die 12 jährige Tochter Sadna, die wie alle anderen noch nie zur Schule gegangen ist, im Steinbruch arbeiten. Sie verdient für 12 Std. Arbeit (die gleiche wie ihre Mutter) 20 bis 25 Rupien (40 bis 45 Cent). Auf meine Frage hin, ob sie denn nicht gerne in die Schule gehen würde, erwidert sie mir einen Blick, der mich tief ins Herz sticht und auch noch Tage später nicht loslässt – mit jeder Faser ihres kleinen Körpers schreit sie „JA, JA, JA“, aber ihr Vater antwortet für sie nur lapidar: „Quatsch!“
Gibt es denn niemand in der indischen Administration, der sich dem Schicksal dieser Familie annimmt? Da Herr Mohan Steine geschlagen hat, die heute in Deutschland als Straßenbelag dienen, sollten doch auch in Deutschland jemanden geben, der hier Hilfe leisten möchte …
Tief bewegt und mit mehr als einem flauen Gefühl im Magen mache ich mich auf zur
2. Fachseminar des Rotary Klubs Kota zur Frage der Kinderarbeit in Steinbrüchen

Zurück in Kota geht es gleich zu den Rotariern – nach eigener Aussage alles Vertreter derRotary Club indischen Mittelschicht. Für mich, nachdem ich den Morgen mit den Ärmsten der Armen verbracht habe, sind dies Superreiche! Wie auch immer, der Vorsitzende ist gleichzeitig Steinexporteur für Sandsteine (Deutschland (unter XertifiX Lizenz) und England) und nach eigener Aussage der größte indische Produzent von Limestone (Speckstein). Er hat nicht die örtlichen Rotarier zu diesem Treffen eingeladen, sondern Steinexporteure und hier jeweils 5 repräsentative Vertreter der verschiedenen Regionen Südrajasthans. Bis auf 2, die derzeit im Ausland weilen, sind alle gekommen und es entwickelt sich ein äußerst spannender und offener Dialog. Überraschend direkt und kritisch gegenüber den Steinexporteuren äußerst sich Sri Om Birla, der parlamentarische Staatssekretär der Regierung von Rajasthan (BJP) und Berater der Ministerpräsidentin. Neben ihm sind noch Vertreter des Bergbau-Ministeriums der Zentralregierung für die Politik anwesend.

Wie ich erst vor Ort erfahre, ist die Situation besonders angespannt, da vor Weihnachten ein viel beachteter Bericht in der britischen Presse erschienen ist, der alle Steinproduzenten der illegalen Beschäftigung von Kindern bezichtigt und von 100.000en von Kinderarbeitern allein in der indischen Steinexportindustrie spricht! Auch die ausführliche Berichterstattung in der „Naturstein“ (12/07) ist hier bekannt und hat die Runde gemacht.
Zurecht bitten mich die anwesenden Exporteure, dies zurecht zu rücken und auch darüber zu berichten, was sie alles an Sozialmaßnahmen ebenfalls initiiert haben und dassBodhpurasie sich sehr wohl der Problematik Kinderarbeit in Teilen der Steinexportindustrie bewusst sind und auch bereit, sich den Herausforderungen zu stellen und unabhängige Kontrollen durch XertifiX zu akzeptieren. Wenn hier Kritik geäußert wird, dann eher an dem rüden, rein monetär ausgerichtetem Gehabe einiger deutscher Importeure, die nach Aussage einiger Exporteure ausschließlich an Profitmaximierung interessiert sind und jede menschliche Regung vermissen lassen. Trotz dieser vereinzelt auftretenden menschlichen Enttäuschung ist man sich doch einig darin, dass es innerhalb weniger Jahre möglich sein sollte, dasBodhpura Problem Kinderarbeit in den Griff zu bekommen. Man ist auf Seiten der Exporteure selbst bereit, Boykottmaßnahmen gegen diejenigen Anbieter einzuleiten, die nicht bereit sind, auf Kinderarbeit zu verzichten und unabhängige Kontrollen ablehnen. Es handelt sich um Zulieferer, bei denen die Exporteure einkaufen. Als ein Problemgebiet wird Bodhpura genannt, wo ich selbst heute Morgen dutzende von Kinderarbeitern antraf – an einem Sonntag! Alle arbeiteten an Kobals für den Export nach Europa.

[1] Mal ganz ehrlich: Wer hätte ihn wirklich auf 35 geschätzt, wenn man das Photo betrachtet?

Bilder: Benjamin Pütter, Indien 2008